Anja Heinrich
HWK Cottbus

Interview des Monats mit Anja HeinrichWir bräuchten heute wieder einen neuen Luther

Am 1. Februar 2018 tritt Anja Heinrich ihr neues Amt als Bürgermeisterin der Stadt Elsterwerda an. Im DHB-Interview spricht sie über die Herausforderungen, den Stellenwert des Handwerks und welche Lehren Sie aus der Bundestagswahl zieht.

Wir treffen Anja Heinrich vor dem Gartenhäuschen. Es befindet sich auf dem Areal des Elsterschloss-Gymnasiums und liegt malerisch direkt am Flusslauf der Schwarzen Elster. An der Stirnseite steht ein langer Tisch mit zwei Bankreihen. Hier picknickt die 46-jährige ab und an mit ihrem Mann, Elbe-Elster-Landrat Christian Heinrich-Jaschinski, und lässt die Seele baumeln.

DHB: Nach 800 Jahren steht erstmals eine Frau an der Spitze von Elsterwerda. Was bedeutet für Sie der Erfolg?

Anja Heinrich: Erstmal ist man natürlich stolz. Das jetzt die 800-jährige  männliche Tradition durchbrochen wurde, ist – ohne den Herren zu nahe zu treten – klasse (sie schmunzelt). Es war ein langer Wahlkampf, der fachlich geführt wurde. Ich hatte mir auf die Fahnen geschrieben, mich nicht an Konkurrenten und Vorgänger abzuarbeiten, sondern ganz klar ein Angebot zu machen, wie ich mir die Stadt in Zukunft vorstelle.

DHB: Wie stellen Sie sich Elsterwerda künftig vor? Wohin geht die Reise?

Anja Heinrich: Zum einen muss man hier leben und in einer Entfernung arbeiten können, so dass sich die Existenz und die Arbeit auch lohnen. Wir haben zum Beispiel sehr gute Bahnverbindungen nach Dresden, künftig auch nach Berlin. Die S-Bahn Leipzig fährt direkt bis Elsterwerda. Und die Grundstückspreise sind hier verglichen mit anderen Regionen bezahlbar. Zum anderen muss man dort, wo man lebt, sich auch wohlfühlen, d.h. kulturelle und touristische Angebote dürfen nicht zu kurz kommen. Da habe ich einige Vorstellungen.

Fakt ist: Elsterwerda hat weitaus mehr zu bieten, als man im Augenblick sieht oder kommuniziert. So können wir mit Stolz sagen, dass wir durch Investitionen mehr industrielle Arbeitsplätze haben als vor der Wende. Das ist unser Pfund, die Industrie und das Handwerk. Deshalb wird die Bestandspflege ein großes Thema sein. Darüber hinaus soll der Kontakt zu Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Kammern und Verbänden auf- und ausgebaut werden.  

DHB: 150 Handwerksbetriebe sind in Elsterwerda gemeldet. Ihr Sohn lernt in einem Handwerksunternehmen. Welchen Stellenwert hat der Wirtschaftszweig für Sie?

Anja Heinrich: Handwerk kommt ursprünglich von Kunst und von Können. Jeder, der etwas kann und der das ihm eigene Handwerk zur Existenz nutzen kann, ist für uns ein Riesengewinn. Die Region basiert auf zahlreichen Handwerksbetrieben und langjährigen Traditionen. Eine Stadt ist nur so stark wie ihre Industrie und ihr Handwerk. 

DHB: Was können Sie als Bürgermeisterin für die Betriebe tun?

Anja Heinrich: Wirtschaft ist ganz klar Chefsache. Und so werde ich auch agieren. Es wäre fatal, wenn die Betriebe einmal im Jahr in Form des Gewerbesteuerbescheides von uns hören. Die Kommunikation und das Handeln untereinander soll ein Geben und Nehmen sein.



Anja Heinrich Elsterschloss
HWK Cottbus



DHB: Stichwort Vergabe: In dem Punkt können Städte und Gemeinden noch direkten Einfluss nehmen. Welchen Ansatz werden Sie dabei verfolgen?

Anja Heinrich: Kommunen sollten in der Regel so ausschreiben, dass der regionale Anbieter eine reelle Chance hat, den Auftrag zu bekommen. Dazu gehört, dass er ohne große Bürokratie und Erklärungen am Verfahren teilnehmen kann. Wir wissen um die Situation  der Losverfahren, dass immer der Billigste gewinnt. Davon müssen wir uns ein Stück weit lösen.

DHB: Die Sparpolitik in den Kommunen in den letzten Jahren führt dazu, dass sich dank der guten Konjunktur in einigen Städten kaum noch Unternehmen auf öffentliche Ausschreibungen bewerben...

Anja Heinrich: Den Trend kann ich für Elsterwerda bestätigen. In vielen Ausschreibungen lese ich die Namen unserer regionalen Unternehmen nicht mehr. Das muss Ursachen haben. Wenn es Gesetze auf Bundesebene gibt, die der Unternehmer nicht mehr versteht oder er dafür eine zusätzliche Bürokraft braucht, dann stimmt etwas in unserem Land nicht. Die Gesetze sind sicher nicht verkehrt, aber handwerklich schlecht gemacht. Solange ich in der Politik bin, höre ich das Wort „Bürokratieabbau“. Passiert ist wenig.  Ich habe die Hoffnung, dass sich die neue Bundesregierung auch damit auseinandersetzen wird.

DHB: Apropos neue Bundesregierung. Was würde eine Koalition aus CDU/CSU, FDP und Grüne für Elbe-Elster bedeuten?

Anja Heinrich: Ich bin über die Form von Jamaika nicht sehr glücklich. Immer dann, wenn man mit Minderheiten koaliert, wird es eine Regierung der Kompromisse. Und mehr erwarte ich auch nicht. Ich habe ein gesundes Stück Bauchschmerzen, was am Ende nach den vier Jahren Regierung für uns übrig bleiben wird.

DHB: In der Lausitz macht man sich große Sorgen, dass das Thema Braunkohle zur Verhandlungsmasse wird...

Anja Heinrich: Ich kenne keine Familie, in der nicht irgendjemand mit der Braunkohle zu tun hat oder in dem Bereich tätig war. Insofern tangiert das Thema auch Elsterwerda. Klar ist: Von einer Bundesregierung, die Jahrzehnte davon partizipiert hat, dass aus dieser Region die Energieversorgung Deutschlands mit sichergestellt wurde und dass die Menschen vor Ort ihre Region aufbauten, muss man verlangen dürfen, Verantwortung zu übernehmen. In dem sie nicht nur sagt, wir bekennen uns zu einem Ausstieg, sondern die ganz klar mit ausreichend finanziellen Mitteln diesen Ausstieg konzipiert, umsetzbar macht und neue Perspektiven und Industriearbeitsplätze schafft.

DHB: Etliche Handwerksunternehmer sind bekannt für ihre Prinzipientreue. Sie würden nicht jeden Kompromiss mitmachen.  In der Politik geht es nicht ohne. Wie ist es bei Ihnen?

Anja Heinrich: Wer sich immer anpasst, hat es schwer. Ich bin eine prinzipientreue Frau und fahre damit gut durchs Leben. Für Martin Luther hege ich eine gewisse Bewunderung. Er hat damals zu seiner Zeit schon provoziert und ich finde, man bräuchte heute wieder einen neuen Luther. Er hat sich immer verstanden als „Provocatio ad populum“ – was das Recht eines jeden Bürgers bezeichnet, um Beistand anzurufen, wenn er sich selber von den Regierenden nicht gehört fühlt. Es gibt kaum eine Aussage, die aktueller ist als diese. 

DHB: Woran denken Sie bei dieser Aussage?

Anja Heinrich: Wir haben eine Bevölkerung, die bei der Bundestagswahl ganz klar signalisiert hat, dass sie mit vielen politischen Entscheidungen nicht zufrieden ist. Demokratie lebt nicht nur davon, dass ich mich ihr nähere und davon partizipiere, wenn es gut läuft. Sie zeigt sich dann, wenn unterschiedlichste Haltungen zusammenfinden und miteinander in diesem Land Respekt verdienen. Dazu gehört eben auch, denjenigen zu hören, der nicht im Mainstream unterwegs ist. Der durchaus Ansichten hat, die nicht mit meiner konform aber dennoch legitim sind. Leider wird diese Denkweise von der Politik ziemlich stiefmütterlich behandelt. Das macht mir große Sorgen.

Bildunterschriften

Anja Heinrich, die neue Bürgermeisterin der Stadt Elsterwerda, steht neben einer Ananas-Skulptur. Früher gab es an deutschen Adelshöfen eine große Begeisterung für die damals neue Frucht. In Brandenburg entstand seinerzeit im Potsdamer Park Sanssouci eine der größten Zuchtanlagen Mitteleuropas. Auch in Elsterwerda wurde die Ananas erfolgreich gezüchtet. In der Bibliothek im wieder aufgebauten Gartenhäuschen auf dem Schlossareal ist das Beet unter einer Glasplatte im Boden zu bestaunen.



Vor zwei Jahren wurde das Gartenhaus aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Das
Fachwerkgebäude war zugewuchert, die Bausubstanz marode. Nach einem langen Kampf wurde das Haus auch dank Anja  Heinrich mit Hilfe von Förder- und Eigen-
mitteln wieder aufgebaut. Heute befinden sich dort die Schulbibliothek und ein Zen-
trum für Grundbildung.



www.elsterwerda.de



www.anja-heinrich.eu