Superintendentin Ulrike Menzel
Foto Goethe

Interview des MonatsWir wirken mehr in der Stille.

Mehr als 800.000 Menschen sahen den ZDF-Fernsehgottesdienst in der Oberkirche. Im Interview spricht Ulrike Menzel, Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Cottbus, über dieses Erlebnis und über die Rolle von Kirche in der Gesellschaft.

DHB: Das ZDF strahlte den Fernsehgottesdienst am Totensonntag aus der Cottbuser Oberkirche aus. Wie war die Erfahrung „Fernsehen“ für Sie?

Ulrike Menzel: Es war ein großes Erlebnis und ein ungeheurer Aufwand, der sich aber gelohnt hat. 800.000 Zuschauer sahen den Gottesdienst – trotz Wintersportübertragung in der ARD. Über 20 Gemeindeglieder saßen von 10.15 Uhr bis 19 Uhr am Zuschauertelefon und bekamen fast durchweg positive Reaktionen. Eine Anruferin aus Ostwestfalen erstaunte die volle Kirche. Sie sagte, sie habe heute ihre Vorurteile gegenüber dem Osten abgelegt und denke nun nicht mehr, die Leute im Osten seien alle gottlos.

DHB: In der Tat denken einige, dass die Kirchen hier bei uns auf einem absteigenden Ast sind...

Ulrike Menzel: Natürlich haben wir als evangelische Kirche teil am demografischen Wandel. Aber wir sind in  Cottbus 15.000 Christen von 100.000 Einwohnern. Wir wirken mehr in der Stille und erregen weniger Aufsehen als andere gesellschaftliche Kräfte.

DHB:  An der Kirchenspitze macht man sich Gedanken, wie man die Menschen heutzutage erreicht. Kürzere Predigte, eine andere Sprache sind da nur einige der Vorstellungen. Wie erreichen Sie die Menschen in Ihrem Kirchenkreis?

Ulrike Menzel: Wir merken immer noch die Folgen der DDR-Geschichte. Es ist unrealistisch zu erwarten, dass die Menschen in Massen neu zu uns kommen. Aber auch Erwachsene lassen sich taufen oder treten wieder in die Kirche ein. Sie finden bei uns Gedanken zu existentiellen Fragen, die sie weiterbringen, und kommen in Gottes Gegenwart zur Ruhe.  

DHB: Gewähren Sie uns doch bitte einen kleinen Einblick in ihre Statistiken...

Ulrike Menzel: Wir haben im Evangelischen Kirchenkreis Cottbus jedes Jahr rund 130 Konfirmanden. Über 1.600 Schülerinnen und Schüler besuchen bei uns den evangelischen Religionsunterricht. Die acht evangelischen Kindertagesstätten haben rund 500 Plätze. Zu diesen Kindern und Jugendlichen wie auch zu Kindern und Jugendlichen in den Gemeindegruppen gehören oft Familien ohne christlichen Hintergrund. Für unsere Kultur ist wichtig, dass sich Menschen mit Kirche und Religion befassen.

DHB: Wo haben Sie eventuell Nachholbedarf, wenn es um die Ansprache der Menschen geht?

Ulrike Menzel: Wir müssen mehr darauf achten, dass wir den Menschen zeigen, was sie bei uns bekommen. Da denken wir oft zu innerkirchlich. Weiterhin müssen wir auch auf unsere Sprache achten. Luther hat den Menschen aufs Maul geschaut. Wir müssen uns ebenfalls um eine Sprache bemühen, die die Menschen heute verstehen. Das schließt natürlich ein, dass wir auch sprachbildend wirken können.

DHB: Auch unsere Gesellschaft ist immer in Bewegung. Das gilt insbesondere für die letzten zwei, drei Jahre. Was hat sich aus Ihrer Sicht da verändert?

Ulrike Menzel: Wie mit Menschen umgegangen wird, das hat sich gravierend verändert. Mich erschrecken die Hass-E-Mails und Kommentare in sozialen Medien. Wie leichtfertig werden da alle Grenzen menschlicher Achtung gebrochen … Ich halte es für geboten wieder zu lernen, gut miteinander umzugehen. Der Hass in den Gedanken enthemmt Worte, die Gewalttaten nach sich ziehen.  Christen bringen ein, dass es darauf ankommt, jeden Menschen zu achten, auch die, die eine andere Meinung vertreten oder anders leben als ich.

DHB: Etliche Menschen in unserer Gesellschaft fühlen sich scheinbar nicht mehr gehört. Das war eine Analyse aus den Ergebnissen der Bundestagswahl. Können Sie diesen Eindruck aus Ihrer Wahrnehmung bestätigen?

Ulrike Menzel: Ja, diesen Eindruck haben wir schon länger. Deswegen haben wir zum Beispiel beim Lausitzkirchentag 2015 in Cottbus ein Gesprächsformat aufgesetzt. Statt einer Podiumsdiskussion zu brennenden Themen des Strukturwandels in der Lausitz boten wir rund 50 Thementische in der Oberkirche St. Nikolai an. An diesen Tischen konnte in überschaubaren Gruppen sachlich kontrovers, aber in gegenseitiger Achtung zu Themen wie „Die Zeit nach der Kohle“, „Flüchtlinge und Kirchengemeinden“, „Wie sieht menschenwürdige Pflege aus?“ geredet werden.   

DHB: Es gibt Stimmen, die sagen, dass sich Kirche mehr aus der Politik heraushält. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Ulrike Menzel: Ich habe im Studium den Satz gelernt, den ich auch heute noch sehr wichtig finde: „Es gibt keine christliche Politik, sondern nur Christen, die Politik machen.“ Wenn Parteien menschenfeindliche Auffassungen befördern, kann das nicht unwidersprochen bleiben. Das steht dem, was wir Christen glauben, entgegen. Bestimmte Bibelstellen wirken in manchen Zeiten wie eine politische Standortbestimmung.

DHB: Hätten Sie ein Beispiel für uns?

Ulrike Menzel: Im 3. Buch Mose heißt es: „Ein Fremder soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst.“ Wenn wir das heute sagen, machen manche daraus, dass die evangelische Kirche die AfD ausgrenzt. Doch wir bleiben nur bei unserer Sache, die wir mit Menschen jüdischen Glaubens seit rund 3000 Jahren gemeinsam haben. Dabei ist mir die Unterscheidung zwischen den Menschen und ihren Auffassungen wichtig. Alle sind als Menschen zu achten, auch wenn sie eine Meinung vertreten, der Christen widersprechen müssen.

DHB: Apropos AfD: In der Vergangenheit fanden regelmäßig Kundgebungen direkt neben der Oberkirche statt. Stört es Sie eigentlich, dass dieser Ort dafür herhalten muss?

Ulrike Menzel: Von der Oberkirche aus haben 1989 Menschen für demokratische Grundrechte demonstriert, auch für Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Dazu gehört, dass Meinungen, solange sie auf dem Boden der Verfassung stehen, geäußert werden dürfen, auch wenn ich sie persönlich nicht gutheißen kann. Das, was ich von „Zukunft Heimat“ an der Oberkirche gehört habe, fand ich inhaltlich und vom Stil her unerträglich. Aber da die Demonstrationen ordnungsgemäß angemeldet waren, gab es kein Recht, die Kundgebungen zum Beispiel durch Glockenläuten mundtot zu machen. Die Glocken rufen zum Gebet, nicht zum Kampf.

DHB: Kirche und Handwerk haben aus Geschichte her eine enge Beziehung. Aber auch als Auftraggeber spielen Sie eine wichtige Rolle...

Ulrike Menzel: Bei Kirchen und Pfarrhäusern geht es um denkmalgerechte Sanierungen. Dazu brauchen wir ausgewiesene Experten und keine Handwerksarbeiten von der Stange. Kirchengemeinden und Kirchenkreise sind interessante und zuverlässige Auftraggeber. Das soll auch in Zukunft so bleiben.                                          Es fragte: Michel Havasi

Oberkirche Cottbus
HWK Cottbus



Michel Havasi

Pressearbeit

Telefon 0355 7835-200

Telefax 0355 7835-283

havasi--at--hwk-cottbus.de