Kohleausstieg: "Die 40 Milliarden Euro sind für mich nicht verhandelbar."
Strukturwandel: Die Corona-Krise droht die Gesetzgebung zum Kohleausstieg zu verzögern. In der Lausitz wächst die Angst, dass dringend benötigte Strukturhilfen nicht rechtzeitig anlaufen, wie die Zeitung „Die Welt“ schreibt. Das Deutsche Handwerksblatt hat Lausitzer Bundestagsabgeordnete nach ihrer Einschätzung gefragt. Hier das Interview mit Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU).
DHB: Was bedeutet die durch Corona bedingte Verzögerung für den Kohleausstieg grundsätzlich? Das Ausstiegsdatum ist fest terminiert, nur der Start zögert sich immer weiter hinaus. Die Zeit rennt...
Klaus-Peter Schulze: Ich gehe davon aus, dass der aktuelle Ablauf des Ausstiegs Bestand hat. Die Abschaltung der einzelnen Kraftwerksblöcke ist zwischen Bund und Ländern bereits ausgehandelt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses komplexe Verhandlungspaket noch einmal aufgemacht wird.
DHB: Werden sie den Gesetzen in der jetzt vorliegenden Form zustimmen oder sehen sie noch größeren Änderungsbedarf?
Klaus-Peter Schulze: Für mich sind beim Thema Kohleausstieg drei Punkte von zentraler Bedeutung.
Zum einen muss der Prozess der Strukturstärkung zeitlich vor der Abschaltung der Kraftwerke erfolgen. Die alternativen Industriearbeitsplätze müssen nach Möglichkeit bereits vorhanden sein, bevor wir bei den Kraftwerken den Stecker ziehen. Aus diesem Grund macht sich die Union, im Gegensatz übrigens zur SPD, dafür stark, dass das Strukturstärkungsgesetz vor dem Kohleausstiegsgesetz verabschiedet wird. Ich möchte an dieser Stelle zudem hervorheben, dass wir zur Förderung der Strukturentwicklung in den betroffenen Kohleregionen unbedingt auch private Investitionen benötigen. Die Ansiedlung neuer Unternehmen muss durch positive Rahmenbedingungen animiert werden. Dazu zählt zum einen eine gut ausgebaute Infrastruktur und zum anderen die Schaffung zusätzlicher Anreize wie etwa Sonderabschreibungen.
Der zweite Punkt ist das Thema Wasserhaushalt, das aus der Schließung der Tagebaue resultiert. Ohne die Einleitung des gehobenen Grubenwassers aus den Tagebauen droht die Spree aufgrund des abgesenkten Grundwasserspiegels trocken zu fallen. Das gefährdet unter anderem die Tourismusdestination Spreewald und die Trinkwasserversorgung Berlins.
Ich habe mich daher bei den Haushaltsberatungen im Jahr 2019 erfolgreich dafür eingesetzt, dass beim Bundesumweltministerium 400.000 Euro für die Untersuchung der wasserwirtschaftlichen Folgen des Kohleausstiegs bereitgestellt wurden. Im März habe ich dazu mit der zuständigen Abteilungsleiterin im Bundesumweltministerium ein Gespräch geführt, um den aktuellen Stand zu erfahren. Mein Eindruck war dabei äußerst positiv, da auf Seiten des Ministeriums die tiefgründige Analyse der Thematik bereits in vollem Gange ist. Eines möchte ich jedoch an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Wir reden beim Thema Wasserhaushalt über notwendige Maßnahmen, die mehrere Milliarden Euro kosten werden. Diese Mittel dürfen auf keinen Fall aus dem Topf der Strukturmittel abgezweigt werden. Es ist vielmehr ein neuer Mittelansatz im Kohleausstiegsgesetz zu schaffen.
Der dritte Punkt, der bei den Gesetzen zum Kohleausstieg noch viel stärker beachtet werden muss, sind die indirekten Folgen für Wirtschaft und Kommunen. Da ist zum einen das Thema Gips. Ohne den REA-Gips aus den Kohlekraftwerken haben wir in Deutschland eine Versorgungslücke von jährlich rund sechs Millionen Tonnen Gips. Das stellt unsere Bauindustrie vor enorme Herausforderungen. Es müssen daher im Kohleausstiegsgesetz Regelungen getroffen werden, die eine Steigerung des Abbaus von Naturgips ermöglichen. Den letzten Aspekt, den ich an dieser Stelle anbringen möchte, sind die Auswirkungen auf die Kommunen. Mit der Stilllegung der Kraftwerke fallen für einzelne Kommunen die Fernwärmeversorgung und die Abfallverbrennung weg. Der Aufbau neuer Kapazitäten, also neuer Anlagen, darf nicht den Kommunen aufgebürdet werden, sondern muss von Seiten des Bundes unterstützt werden.
DHB: Die angepeilten 40 Milliarden Euro für den Kohleausstieg sind noch nicht festgezurrt. Derzeit wird sehr viel Geld in die Hand genommen, um die Corona-Folgen abzumildern. Werden die vom Bund zugesagten finanziellen Mittel für den Kohleausstieg aus ihrer Sicht fließen?
Klaus-Peter Schulze: Die 40 Milliarden Euro sind für mich nicht verhandelbar. Zumal es sich bei der Corona-Krise und dem Kohleausstieg um zwei völlig verschiedene Prozesse handelt. Die Notwendigkeit einer Strukturförderung in der Lausitz aufgrund des Kohleausstiegs ist durch Corona ja nicht geringer geworden. Eher ist das Gegenteil der Fall.
DHB: Wäre es denkbar, eventuell die Kohleausstieg angesichts von Corona nochmals zu verschieben?
Klaus-Peter Schulze: Davon gehe ich nicht aus. Wie gesagt, die Abschaltung der Kraftwerke ist zwischen Bund und Ländern bereits ausgehandelt. Zudem ist der Kohleausstieg ja eine Maßnahme, um unsere Klimaziele zu erreichen. Diese Ziele haben sich auch durch Corona nicht geändert und darum wird es auch beim bisherigen Zeithorizont des Kohleausstiegs bleiben.
Eines hat Corona im Hinblick auf den Kohleausstieg jedoch deutlich gemacht: Wir müssen als Staat in Notsituationen in der Lage sein, uns mit notwendigen Gütern wie etwa Schutzausrüstungen selbst zu versorgen. Ich bin der Meinung, dass wir diesen Grundsatz auch bei der zukünftigen Energieversorgung Deutschlands anwenden sollten. Nach derzeitigen Planungen soll im Jahr 2030 die Versorgungssicherheit Deutschlands auch mithilfe von Stromimporten aus dem europäischen Strommarkt sichergestellt werden.
Insgesamt sollen 20 Gigawatt Importleistung die Stromversorgung gewährleisten. Diese Strategie muss kritisch hinterfragt werden. Wollen wir uns als stromintensive Industrienation wirklich darauf verlassen, dass wir von unseren Nachbarn in Extremsituationen Strom importieren können? Meines Erachtens müssen wir die Energiewende in Deutschland vielmehr so gestalten, dass unsere Versorgungssicherheit losgelöst ist von Ausgleichseffekten im europäischen Strombinnenmarkt.
Mit Dr. Klaus-Peter Schulze sprach Michel Havasi
Hintergrund
Ursprünglich wollte sich der Bundestag am 23. und 24. April in zweiter und dritter Lesung mit dem Gesetz befassen. Der Bundesrat sollte Mitte Mai final zustimmen.
Die Bundesregierung will über Ausschreibungen bis Ende des laufenden Jahres 4.000 MW Steinkohle vom Netz nehmen. Für Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens durch die Bundesnetzagentur sind drei Monate notwendig. Der Beschluss des Kohleausstiegsgesetz müsste also vor der geplanten Sommerpause des Parlamentes erfolgen.
Pressearbeit
Telefon 0355 7835-200
Telefax 0355 7835-283