Kohleausstieg: "Ich kann den Gesetzen, wie sie derzeit vorliegen, nicht zustimmen."
Strukturwandel: Die Corona-Krise droht die Gesetzgebung zum Kohleausstieg zu verzögern. In der Lausitz wächst die Angst, dass dringend benötigte Strukturhilfen nicht rechtzeitig anlaufen, wie die Zeitung „Die Welt“ schreibt. Das Deutsche Handwerksblatt hat Lausitzer Bundestagsabgeordnete nach ihrer Einschätzung gefragt. Hier das Interview mit Ulrich Freese (SPD).
DHB: Herr Freese, wie ist aktuell die Zeitschiene beim Kohleausstiegsgesetz und beim Strukturstärkungsgesetz?
Ulrich Freese: Beide Gesetze sollen zeitgleich beschlossen werden. Das Strukturstärkungsgesetz ist zeitlich erheblich in Verzug. Ursprünglich wollte der zuständige Minister Peter Altmaier das Gesetz noch vor der Sommerpause 2019 vorlegen. Das Kohleausstiegsgesetz wurde erst Ende Januar 2020 im Kabinett beschlossen und erstmalig im Parlament im März 2020 behandelt. Dieses Gesetz muss auf EU-Ebene nach der Binnenmarkttransparenzrichtlinie notifiziert werden. Das dauert drei Monate. Da Altmaier die EU erst am 13. März informiert hat, können wir im Bundestag bestenfalls nach dem 13. Juni hierüber abschließend entscheiden.
Natürlich hat auch die Corona-Pandemie Folgen auf das weitere Verfahren. Am 25. März war eine Anhörung mit Experten zum Kohleausstiegsgesetz geplant. Diese ist entfallen. So eine große Runde geht nicht per Video- oder Telefonkonferenz. Hier müssen wir schauen, wie sich die Lage in Deutschland entwickelt, wann die Abgeordneten des Bundestages ihrer Arbeit wiederum üblicher Weise nachgehen können.
Ebenso hat der Minister Altmaier meinen Informationen zufolge noch nicht einmal die im Kohleausstiegsgesetz vorgesehenen öffentliche-rechtlichen Verträge mit den Energieunternehmen auf Punkt und Komma vereinbart. Hierbei geht es u.a. um Entschädigungszahlungen an LEAG und Co. Das ist ein komplexes Thema. Diese Gelder müssen mindestens auskömmlich sein für Sanierung und Rekultivierung der Tagebaue, den Rückbau der Kraftwerke sowie Maßnahmen zur Stabilisierung der wasserwirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Ich habe in diversen Gesprächen und Sitzungen angemahnt, dass beide Gesetze – das Strukturstärkungs- und das Kohleausstiegsgesetz – miteinander verbunden und gemeinsam beschlossen werden. Ansonsten sehe ich die Gefahr, dass das Gesetz zum Kohleausstieg beschlossen, und das Strukturstärkungsgesetz als zustimmungspflichtiges Gesetz durch den Bundesrat nicht so, wie wir es für erforderlich halten, seine Zustimmung erhält. Deshalb gehört beides zusammen.
DHB: Was bedeutet die Verzögerung für den Kohleausstieg grundsätzlich? Das Ausstiegsdatum ist fest terminiert, nur der Start zögert sich immer weiter hinaus. Die Zeit rennt...
Ulrich Freese: Das jetzige Ausstiegsdatum ist auf Ende 2038 zementiert. Daran wird sich so schnell nichts ändern. In beiden Gesetzen steht, dass im Lichte der Entwicklung das Ausstiegsszenario überprüft werden soll. Wenn man also 2032 feststellt, das geht alles so nicht, dann muss man handeln. Entscheidend hierfür ist, wieviel Kohle in den verbliebenen Tagebauen noch abgebaut werden kann. Rein technisch könnte das Kraftwerk Schwarze Pumpe locker bis 2050 laufen. Ob solange aber die Kohle reicht – vor dem Hintergrund, dass neue Tagebaue politisch nicht mehr in Sachsen und Brandenburg gewünscht sind – muss man sehen.
DHB: Werden sie den Gesetzen in der jetzt vorliegenden Form zustimmen oder sehen sie noch größeren Änderungsbedarf?
Ulrich Freese: Die Bundesregierung hatte versprochen, die Empfehlungen der „Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ 1:1 umzusetzen. Die jetzigen Entwürfe sind weit davon entfernt. Insofern kann ich den Gesetzen, wie sie derzeit vorliegen, nicht zustimmen.
Mir fehlt zum Beispiel die Absicherung der Finanzierung – insbesondere der 26 Milliarden, mit denen der der Bund selbst Projekte etwa bei Forschung und Verkehr umsetzen will. Hierzu bedarf es der Bildung eines Sondervermögens. Das ist für mich eine Grundvoraussetzung. Die Lausitzer erwarten vor allem verbindliche Zusagen. Das bedeutet für mich, dass hierfür ein Staatsvertrag oder eine Bund-Ländervereinbarungen mit parlamentarischer Beteiligung erforderlich ist. Das Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern wie bei der Tagebausanierung ist nicht unbedingt ein gutes Beispiel. Alle fünf Jahre wurde erneut heftig gestritten. Wir Bundestagsabgeordneten sind dabei außen vor. Das will ich zukünftig vermeiden.
Das Projekt Strukturwandel braucht für die nächsten zwei Jahrzehnte verlässliche Rahmenbedingungen, die wir heute schaffen müssen.
Mit Ulrich Freese sprach Michel Havasi
Hintergrund
Ursprünglich wollte sich der Bundestag am 23. und 24. April in zweiter und dritter Lesung mit dem Gesetz befassen. Der Bundesrat sollte Mitte Mai final zustimmen.
Die Bundesregierung will über Ausschreibungen bis Ende des laufenden Jahres 4.000 MW Steinkohle vom Netz nehmen. Für Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens durch die Bundesnetzagentur sind drei Monate notwendig. Der Beschluss des Kohleausstiegsgesetz müsste also vor der geplanten Sommerpause des Parlamentes erfolgen.
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