Martin Neumann Bundestagsabgeordneter FDP
Deutscher Bundestag / Achim Melde

Kohleausstieg: "Sonderwirtschaftszonen wären ein denkbares Mittel"

Strukturwandel: Die Corona-Krise droht die Gesetzgebung zum Kohleausstieg zu verzögern. In der Lausitz wächst die Angst, dass dringend benötigte Strukturhilfen nicht rechtzeitig anlaufen, wie die Zeitung „Die Welt“ schreibt. Das Deutsche Handwerksblatt hat Lausitzer Bundestagsabgeordnete nach ihrer Einschätzung gefragt. Hier das Interview mit Prof. Dr. Martin Neumann (FDP). 

DHB: Was bedeutet die durch Corona bedingte Verzögerung für den Kohleausstieg grundsätzlich? Das Ausstiegsdatum ist fest terminiert, nur der Start zögert sich immer weiter hinaus. Die Zeit rennt...

Martin Neumann: Ganz grundsätzlich: Die aktuelle Pandemie ist nur das Tüpfelchen auf dem I. Die Hauptprobleme heißen nicht Corona und Shutdown, sie hießen über ein Jahr lang Peter Altmaier und Svenja Schulze, die sich nicht auf das Was und Wie beim Kohleausstieg einigen konnten und zudem unnötigerweise die Gesetze zu Kohleausstieg und Strukturstärkung zeitlich aneinander gekoppelt haben. Hinzu kommt, dass sich nun auch die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD viel Zeit für die Beratungen in Ausschüssen und Plenum nehmen. Zeit, die die Unternehmen und Menschen zwischen Lausitz, Rhein und Ruhr nicht haben.

Die Folgen sehen wir bereits heute: Die Energieversorger können nicht planen - weder die Betreiber von Kohlekraftwerken noch potenzielle Investoren in KWK, BHKW und Gaskraftwerke. Am Ende leiden Versorgungssicherheit und Energiepreise. Auf der anderen Seite kommt die Schaffung stabiler, wertschöpfender Strukturen nicht voran, da die gesetzliche Grundlage fehlt, innovative Projekte und Infrastrukturmaßnahmen anzugehen. Deutschland verspielt massiv Kredit bei seinen Leistungsträgern.

 

DHB: Werden sie den Gesetzen in der jetzt vorliegenden Form zustimmen oder sehen sie noch größeren Änderungsbedarf?

Martin Neumann: Wir sehen bei beiden Gesetzen deutlichen Korrekturbedarf und werden dies auch mit eigenen Anträgen untermauern. Bei der Strukturentwicklung fehlt es an einer Priorisierung der Maßnahmen. Es sollten Strukturen und Projekte gefördert werden, die den Charakter der Regionen als Energiestandort beibehalten und fördern  - im Sinne des „Stärken stärken“. Zudem brauchen wir Instrumente für schnellere, effizientere Planungen und Realisierung. Sonderwirtschaftszonen wären ein denkbares Mittel, das in der polnischen Grenzregion seit Jahren positiv wirkt.

Beim Kohleausstieg muss es um dreierlei gehen: Erstens: jede aus dem Netz genommene Kilowattstunde Kohlestrom muss deckungsgleich ersetzt werden, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Zweitens: wo Arbeit verloren geht, muss ein Ersatz her. Entsprechend braucht es ausreichende Investitionsanreize, besondere im Bereich Kraft-Wärme-Kopplung, um den Umstieg zu schaffen. Drittens: die politisch forcierte Abschaltung von Kohlekraftwerken ist ein Eingriff in Eigentum, mit dem Vermögenswerte vernichtet werden. Entsprechend müssen Verluste aus öffentlichen Mitteln ausgeglichen werden. Finanzpolitisch ist dies Wahnsinn, da die Kraftwerksbetreiber über den EU-Zertifikatehandel ohnehin aus der Kohleverstromung aussteigen werden. Dass der Staat hier auf teure Planwirtschaft setzt, ist unverständlich.

 

DHB: Die angepeilten 40 Milliarden Euro für den Kohleausstieg sind noch nicht festgezurrt. Derzeit wird sehr viel Geld in die Hand genommen, um die Corona-Folgen abzumildern. Werden die vom Bund zugesagten finanziellen Mittel für den Kohleausstieg aus ihrer Sicht fließen?

Martin Neumann: Die zugesagten 40 Milliarden Euro dienen der Strukturentwicklung in den vom Kohleausstieg unmittelbar betroffenen Regionen. Der Mittelumfang ist in einem langen, gesellschaftlichen Verfahren konsensual ermittelt worden. Diesen Konsens durch Mittelkürzungen nun aufzukündigen, würde einen nie dagewesenen Vertrauensverlust nach sich ziehen - in die Politik und den Wirtschaftsstandort Deutschland. Meine Fraktion wird darauf dringen, dass Wort gehalten wird.

 

DHB: Wäre es denkbar, eventuell die Kohleausstieg angesichts von Corona nochmals zu verschieben?

Martin Neumann: Nein! Ginge es im Gesetzgebungsverfahren nur um den Ausstieg aus der Kohleverstromung, wäre ein Aufschub eine Option. Da an diesem Gesetz aber auch das Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen hängt, müssen jetzt Ergebnisse her, um Investitionen in nachhaltige, wertschöpfende Arbeitsplätze und damit dies Zukunft der Regionen zu ermöglichen.

Das Gespräch führte Michel Havasi

 Hintergrund

Ursprünglich wollte sich der Bundestag am 23. und 24. April in zweiter und dritter Lesung mit dem Gesetz befassen. Der Bundesrat sollte Mitte Mai final zustimmen.

Die Bundesregierung will über Ausschreibungen bis Ende des laufenden Jahres 4.000 MW Steinkohle vom Netz nehmen. Für Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens durch die Bundesnetzagentur sind drei Monate notwendig. Der Beschluss des Kohleausstiegsgesetz müsste also vor der geplanten Sommerpause des Parlamentes erfolgen.



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Michel Havasi

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