Evan Christ
Walter Schönenbröcher

Interview des MonatsDer Lausitzer muss hin und wieder wachgeküsst werden!

Evan Christ, Generalmusikdirektor am Cottbuser Staatstheater, ist weltweit einer der führenden Dirigenten seiner Generation. Aufgewachsen in Las Vegas erobert er mit seinem Streben nach Perfektion und mit viel Leidenschaft seit 2008 die Region.



DHB: Herr Christ, dem Lausitzer sagt man nach, eher ein „Gewöhnungstier“ zu sein. Sie hingegen sind sehr experimentierfreudig. Es scheint dennoch zu passen, Ihre Konzerte sind sehr gut besucht. Was ist Ihr Rezept?

Evan Christ: Ich versuche immer, neue Stücke anzubieten. Das hält sowohl das Orchester als auch das Publikum frisch. Das Rezept ist: Immer anbieten, aber kurz, nicht übersättigen. Das Publikum wird nicht gezwungen, sich stundenlang etwas Neues anzuhören. Sie haben aber die Möglichkeit, kurz in etwas Unbekanntes hineinzuhören. Und das stößt auf große Akzeptanz. Die Lausitzer sind sehr dankbar, wenn sie merken, da wird etwas Besonderes angeboten, da macht jemand etwas von ganzem Herzen. Das ist toll.



DHB: Dennoch gibt es im Kulturbereich in Zeiten knapper Kassen regelmäßig Diskussionen um die Finanzierung von Opernhäusern und Theatern aus öffentlichen Mitteln. Wie lassen Sie das Thema an sich heran?

Evan Christ: Unsere Häuser sind ziemlich voll. Bei meiner Sparte haben wir eine Auslastung von 92 Prozent. Das ist schon sehr gut. Darauf können wir stolz sein. Ich denke, Qualität setzt sich durch. Es kommt sehr selten vor, dass ich das Gefühl habe, etwas spielen zu müssen, was die Leute lockt. Ich will den Menschen einen schönen Abend verschaffen. Wir machen die Konzerte, so gut wir können und wir bereiten uns gut vor. Wenn wir das tun, wird der Saal voll und die Einnahmen stimmen.



DHB: Qualität spielt auch im Handwerk eine entscheidende Rolle. Was der Branche in weiten Teilen fehlt, sind qualifizierte Fachkräfte. Finden Sie noch genügend Musiker für Ihr Orchester?

Evan Christ: Meistens ja. Es ist jedoch sehr unterschiedlich. Für Solostellen – also alle Bläserstellen, Schlagzeug – bekommen wir immer sehr viele Bewerbungen, an die 60 pro Stelle. Für sogenannte Tutti-Stellen jemanden zu finden – hier spielen die Streicher im Kollektiv – ist schon schwieriger. Ganz schwer wird es beim stellvertretenden Konzertmeister. Er muss die Qualität als Chef der Gruppe haben, ist aber nicht der Chef.



DHB: Sie sind der Chef von zirka 130 Frauen und Männern mit Orchester, Chor, Solisten usw. Das geht an die Substanz. Was ist anstrengender, die körperliche oder die geistige Arbeit?

Evan Christ: Das ist ganz unterschiedlich. Allein im Orchester strengt mich an, alle Musiker im Orchester dazu zu bringen, an einem Strang zu ziehen. Das sind immerhin 74 Persönlichkeiten. Ältere Dirigenten haben da Vorteile. Sie haben eine natürliche Autorität. Ein junger Dirigent wie ich wird hingegen meist skeptisch beäugt. Ich verlange Perfektion von Anfang an, auch schon bei den Proben. Der leichteste Weg mit mir gut auszukommen, ist gute Arbeit zu machen.

Ich dirigiere so an die 70 Abende in der Spielzeit. Das ist viel, ständig neues Repertoire usw. Und jedes Orchester reagiert anders. Unser Klangkörper braucht viel Körpereinsatz. Wir haben Musiker aus 35 unterschiedlichen Ländern. Doch nach einem Jahr in Cottbus sind sie Lausitzer. Das heißt: Sie müssen hin und wieder mal wachgeküsst werden. Ich glaube, das kann ich gut.



DHB: Woher nehmen Sie die Inspiration für Ihre kräftezehrende Arbeit?

Evan Christ: Ich ziehe viel aus der Musik und dem Erfolg. Hinzu kommt das Gefühl von Stolz. Die Momente, in denen ich merke, dass ich mit meiner Arbeit die Seelen der Menschen treffe, geben mir sehr viel. Unser Orchester klingt wie von der CD, das ist Wahnsinn. Das ist ein sehr hohes Niveau und das gibt mir ein sehr sehr gutes Gefühl.



DHB: Sie sind in Las Vegas aufgewachsen, haben Frank Sinatra, Liberace oder Dean Martin live gesehen. Funktioniert diese Form von Unterhaltung heute auch noch?

Evan Christ: Aber natürlich. Was Vegas kann, ist Show. Hier stimmen Timing, Licht, Sound und Atmosphäre. Meine Mutter hat in einem Halb-Orchester, Halb-Bigband gespielt. Sie war Konzertmeisterin. Es waren 20 bis 25 Musiker. Sie haben alles live gespielt. Jede Woche acht Shows mit immer neuen Künstlern, ständig am Limit. Das war eine Show-Fabrik. Diese Zeit hat mich schon geprägt. Was ich daraus gelernt habe: Das Beste auf der Bühne ist, authentisch zu sein. Das kommt am besten an.



DHB: In Sachen Marketing sind uns die US-Amerikaner meilenweit voraus. Wo müssen wir noch nachlegen?

Evan Christ: Die Lausitzer sind sehr „Understatement“. Wenn sie mich fragen, müssen wir noch viel mehr Marketing machen. Cottbus kann sehr stolz auf das Theater und sein Orchester sein. Es ist etwas Besonderes, das die Stadt im Vergleich zu anderen heraushebt. Das müsste man viel mehr vermarkten auch mit der Stadt zusammen. Ein Event, genau dies zu erreichen, ist die Walzernacht auf dem Altmarkt 2018. Das wird toll.





DHB: In einer Beziehung wird oft erst bewusst, was einem fehlt, wenn die Partner weg ist. Wie lange bleiben Sie uns noch erhalten?

Evan Christ: Ich bleibe gern noch eine Weile. Die Zeit in Cottbus ist fantastisch. Das ist für meinen weiteren Werdegang eine wichtige Erfahrung. In unserem  Beruf aber spielen auch viele unmusikalische Sachen wie Politik eine Rolle. Es gibt viele berühmte Musiker, die nicht ganz so begabt und talentiert sind, und die ihrem Ruf eigentlich nicht gewachsen sind. Umgekehrt gibt es wahnsinnig gute Leute, die nicht so berühmt sind.

Das Interview führte Michel Havasi

„Unser Orchester klingt wie von der CD, das ist Wahnsinn. Das ist ein sehr hohes Niveau und das gibt mir ein sehr sehr gutes Gefühl.“ (Evan Christ)



Handwerk, Evan Christ, Cottbus
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Beim Tag des Meisters 2014 in der Cottbuser Stadthalle begeisterte Evan Christ mehr als 300 Handwerksmeister mit seinem meisterlichen Können.