
Es gibt zwei Wege, Karriere zu machen
Akademische und berufliche Bildung sind gleich viel wert, so ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke im Interview mit der Chemnitzer Freien Presse (31. August 2013): "Das müssen wir in die Köpfe von Schülern, Eltern und vor allem auch Lehrern bekommen." Die Stärke der deutschen Wirtschaft beruht auch auf der hohen Qualifizierung im Handwerk, so Schwannecke.
In Sachsen klagt das Handwerk über freibleibende Lehrstellen. Schaffen die Betriebe es noch ihren Nachwuchs zu sichern?
Holger Schwannecke: Nachwuchs und Fachkräftesicherung sind derzeit unsere Kernthemen. Da gibt es durchaus Sorgen, weil wir seit drei, vier Jahren feststellen, dass wir bundesweit zehntausende Ausbildungsstellen nicht besetzen können. Das zieht sich durch alle Branchen. Selbst bei sehr beliebten Berufen bleiben Ausbildungsplätze frei. Das hat natürlich erst einmal mit der Demografie zu tun. 2002 hatten wir in Ostdeutschland noch rund 230.000 Schulabgänger in einem Jahrgang, heute ist es die Hälfte.
Die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ist hoch. Wie will das Handwerk die jungen Leute überzeugen, nicht in die Industrie zu gehen?
Schwannecke: Im Handwerk stehen wir in Konkurrenz zur Industrie und zu kaufmännischen Berufen, aber auch zu den akademischen Ausbildungsgängen. Wir müssen unsere Stärken gegenüber den Bewerbern noch besser herausstellen.
Welche Stärken des Handwerks meinen Sie?
Schwannecke: Handwerksbetriebe sind in der Regel überschaubare Familienbetriebe. Dort herrscht eine andere Art des Miteinanders als in Großunternehmen, es gibt schon für Auszubildende den direkten Kontakt zu den Kunden, die jungen Leute lernen ganzheitliches Arbeiten und nicht nur Ausschnitte des Produktionsprozesses kennen. Auch die guten Angebote für Fort- und Weiterbildung bis hin zur Qualifizierung zum Meister können wir als Pluspunkte nennen.
Viele Abiturienten gehen lieber studieren als einen Handwerksberuf zu erlernen. Wie wollen Sie das ändern?
Schwannecke: Lange Zeit galt in der deutschen Bildungspolitik nur ein Credo: Wenn mein Kind nicht über das Abitur auf die Uni kommt, dann wird es nichts im Leben. Dieser einseitige und falsche Ansatz wurde von der Politik unterstützt. Die OECD hat beispielsweise immer wieder gemahnt, Deutschland brauche mehr Akademiker. Die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes wurde an der Zahl der Akademiker gemessen. Kein Wunder, dass die Menschen irgendwann glaubten, ihr Kind werde über die duale Ausbildung in der Bildungshierarchie abgehängt. In den letzten beiden Jahren sind unsere Argumente für die Berufliche Bildung aber in Medien, Öffentlichkeit und Politik auf fruchtbaren Boden gefallen.
Woran kann man das feststellen?
Schwannecke: Die duale Ausbildung wird als erfolgreicher Weg inzwischen europaweit anerkannt. Bei der Einordnung der Bildungsabschlüsse ist der Meisterbrief mit dem Bachelor gleichwertig. Selbst die OECD hat in diesem Jahr die Bedeutung beruflich Hochqualifizierter wie Handwerksmeister für die Stärke der deutschen Wirtschaft anerkannt. Es gibt eben zwei Wege, Karriere zu machen, einmal über die akademische, einmal über die berufliche Bildung. Aber beide sind gleich viel wert! Das müssen wir jetzt noch in die Köpfe von Schülern, Eltern und vor allem auch von Lehrern bekommen.
Ist die hohe Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern Europas für das deutsche Handwerk eine Chance, neue Bewerber zu bekommen?
Schwannecke: Das Ausland hat erkannt, dass unsere Art der dualen Ausbildung, also der engen Verzahnung von Theorie und Praxis mit den zwei Lernorten Schule und Betrieb, ein Erfolgsmodell ist. Wir helfen jetzt mit, so etwas in anderen Ländern Schritt für Schritt aufzubauen. Das ist die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite machen wir natürlich auch das Angebot an ausländische Jugendliche, bei uns einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Wir machen keine Abwerbeaktionen, aber wir zeigen Perspektiven auf. Zum Beispiel sind in diesem Jahr zahlreiche Spanier nach Deutschland gekommen. Wenn sie nach der Lehre sagen, wir wollen hierbleiben, sehen wir das auch als Chance. Wichtiger ist jedoch, dass sie ihre berufliche Qualifikation im Heimatland nutzen. Wir haben da eine Verantwortung für Europa insgesamt.