Porträtbild Ramona Pisal, Präsidentin Landgericht Cottbus
Anke Gimbal, djb

Ramona Pisal, Präsidentin des Landgerichts Cottbus, über nicht-verhandelte Fälle und verfehlte Politik"Man lässt die Gerichte mit der Flut an Arbeit erstmal im Regen stehen."

Ramona Pisal ist die erste Frau in Brandenburg und Sachsen, die an der Spitzes eines Landgerichts steht. Seit 13. Dezember 2016 führt sie die Dienstaufsicht in Cottbus. im DHB-Interview spricht sie über Personalmangel in der Justiz und wie die mediale Darstellung von Prozessen die Wahrnehmung verschiebt.

DHB: Frau Pisal, die Stadt Cottbus kämpft beim Thema Flüchtlinge um ihren Ruf. Werden Sie in Ihrem Freundeskreis, der außerhalb der Region lebt, darauf angesprochen?

Ramona Pisal: Ja, das ist mir tatsächlich passiert. Ich wurde im Krankenhaus Potsdam und von einer Freundin aus dem Rheinland darauf angesprochen.

DHB: Sie kommen aus Köln, leben in Potsdam und Cottbus. Wie würden Sie die Situation mit der in anderen Städten einordnen?

Ramona Pisal: Es gibt bestimmt in anderen Städten Deutschlands vergleichbare Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und -schichten wie in Cottbus. Aber da finden sie nicht so im Fokus der Öffentlichkeit statt. Die Konflikte sind in Vororte ausgelagert. Da weiß man, dass die schwierig sind. Da geht man dann nicht hin. In Cottbus spielt sich das mitten in der Stadt ab. Ich fühle mich aber in der Stadt deswegen nicht unsicher.

DHB: Sie haben unter anderem 15 Jahre einen Strafsenat am Oberlandesgericht begleitet, zehn Jahre davon als Vorsitzende. Was macht das mit einem, wenn man in die Abgründe des menschlichen Handelns blickt?

Ramona Pisal: Es ist ausgesprochen belastend zu sehen, wozu Menschen fähig sind. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Ich habe die Arbeit gern gemacht. Nur zwischendurch muss man immer wieder Abstand gewinnen und sich vergegenwärtigen, dass das nicht der Standard ist. Wir sehen nur einen kleinen Ausschnitt. Es ist ja nicht so, dass jeder Bürger, dem man begegnet, schwerste Straftaten begeht. Aber die Wahrnehmung – und das ist die eigentliche Gefahr bei der Arbeit – fokussiert sich darauf. Man spürt die Tendenz, den Ausschnitt, den man wahrnimmt, für das Ganze zu halten.

DHB: Die Medien transportieren gern diesen Ausschnitt. Besteht die Gefahr, dass sich die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit dadurch verschiebt?

Ramona Pisal: Ja, das denke ich schon. Das sieht man auch an der Cottbus-Debatte deutlich. Natürlich begehen Menschen aus allen Bevölkerungsschichten und egal wo sie herkommen Straftaten. Was man jetzt macht, ist hochrechnen. Eine Straftat von einem Menschen aus einem Land = alle Menschen aus diesem Land. Wir wissen, dass dem nicht so ist, aber die darauf gelenkte Wahrnehmung verleitet dazu, zu pauschalieren und hochzurechnen.

DHB: Die Medienöffentlichkeit in Gerichtssälen wird nicht abnehmen. Im Gegenteil, seit 19. April sind auch öffentliche Berichterstattungen, zum Beispiel Direktschaltungen in einen Nachbarsaal, möglich. Wie bewerten Sie als Richterin die neue Regelung?

Ramona Pisal: Glücklicherweise darf das jede Vorsitzende Richterin und jeder Vorsitzende Richter selbst entscheiden. Ich mag diese Medienöffentlichkeit nicht. Das verschiebt den Fokus, das verändert Verfahren. Denn natürlich sprechen Sie anders, wenn Sie wissen, dass die Welt zuschaut oder zuhört. 

Die Berichterstattung ist sehr fokussiert auf die Sex- und Crime-Tatbestände. Ich bin da eher bei Marcel Reich-Ranicki, der immer angezweifelt hat, dass es das ist, was die Menschen lesen und hören wollen. Aber Medien verkaufen sich über Schlagzeilen und die liefern eben selten die Zivilprozesse, weil sie nicht spannend genug erscheinen.

DHB: Apropos Prozesse. Wegen Personalmangels bleiben Verfahren am Landgericht lange liegen, Prozesse lassen auf sich warten. Durch die Medien ging ein Fall eines mutmaßlichen Sexualstraftäters, der auf freiem Fuß ist, weil der Prozess über Jahre auf sich warten ließ. Was sagen Sie?

Ramona Pisal: Ich würde Ihnen gern sagen, das ist jetzt ein Einzelfall. Dem ist aber nicht so. Wir haben inzwischen eine signifikante Anzahl von Verfahren, die älter geworden sind und die wir mit unserem vorhandenen Personal nicht aufarbeiten können. Und wenn wir es tun, bleibt etwas Neues liegen. Wir brauchen dringend zusätzliche Kräfte, damit wir auch an die Altbestände herangehen können, ohne die Neuen zu vernachlässigen. 

DHB: „Frisches Blut“ wird auch im Handwerk gebraucht. Etliche Betriebe haben große Probleme, die freien Stellen zu besetzen. Wie ist es bei Ihnen?

Ramona Pisal: Ja, es ist wirklich schwierig. Wir haben Metropolen wie Berlin, Potsdam und Dresden, die die jungen Leute wie Magneten anziehen. Wir müssen aktiv um jede einzelne Nachwuchskraft werben. Wenn wir neues Personal gefunden haben, braucht die Einarbeitung auch Zeit. Allein dadurch, dass Sie Jurist oder Juristin geworden sind, wissen Sie noch nicht, wie Sie eine Akte von A nach B bekommen. Es erfordert mehrere Jahre, bis jemand als Richterin oder Richter wirklich im Beruf angekommen ist. Das Fachliche beherrschen sie. Aber es so anzuwenden, dass es auch praktikabel ist und dass sie die nötige Gelassenheit bekommen, braucht Zeit.

DHB: Wie stellt sich aktuell die Personalsituation in Ihrem Gerichtsbezirk dar?

Ramona Pisal: Früher haben wir im Landgericht immer zu dritt in einer Kammer entschieden. Das ist alles heruntergefahren worden. Es gibt große Strafsachen, die nur noch zwei Berufsrichter und zwei Schöffen verhandeln können. Man versucht, an allen möglichen Stellen zu sparen.  Die geburtenstarken Jahrgänge, zu denen ich auch gehöre, gehen in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand. Eigentlich hätten wir mit der Nachrekrutierung längst anfangen müssen. Der Wettbewerb um die besten Köpfe ist im Gange. Leider gehört das Land Brandenburg nicht zu den Ersten, die sich darum gekümmert haben.

DHB: Angekündigt wurde aus dem brandenburgischen Justizministerium mehrfach ein Aufbau des Personals. Das Landgericht ging leer aus...?

Ramona Pisal: Ja. Stellen bekommen vor allem die Sozialgerichte, die wegen der Hartz-IV-Reformen überlastet sind, und die Verwaltungsgerichte, die wegen der Asylverfahren große Aktenberge vor sich herschieben. Alles Probleme im Übrigen, die nicht die Gerichtsbarkeit verursacht hat, sondern die Gesetzgebung und die Politik. Sie lassen die Gerichte mit der Flut an Arbeit erstmal im Regen stehen. Wir müssen, was immer kommt, bearbeiten und das ohne zusätzliches Personal. Wir werden regelrecht ausgepresst.

DHB: Beschreiben Sie uns kurz Ihre Gefühlslage?

Ramona Pisal: Es herrscht eine große Unzufriedenheit mit der personellen Ausstattung. Wir haben einen Justizminister – als Funktion, ganz unabhängig davon, wie er aktuell heißt – der unsere Interessen vertreten soll. Das akzeptieren wir nolens volens. Dafür können wir und die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass diese Aufgabe ordentlich ausgefüllt wird, dass man die Interessen der Gerichtsbarkeit für einen starken Rechtsstaat vertritt, engagiert, mit Herzblut und auch erfolgreich. Jedenfalls Letzteres sehen wir nicht im ausreichenden Maße gewährleistet. Das Interview führte Michel Havasi

Hintergrund

Das Landgericht ist im Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland das Gericht zwischen Amts- und Oberlandesgericht. 

Erste Instanz
In Strafsachen ist das Landgericht erstinstanzlich zuständig, wenn nicht das Amtsgericht oder das Oberlandesgericht zuständig sind. Ab einer Straferwartung von vier Jahren Freiheitsstrafe ist nicht mehr das Amtsgericht zuständig (Ausnahmen gibt es). 

Im Zivilprozess ist das Landgericht grundsätzlich für alle Verfahren mit einem Streitwert von über 5000 Euro zuständig, soweit sie nicht den Amtsgerichten übertragen wurden.

Zweite Instanz
Im Strafprozess ist das Landgericht als zweite Instanz für Berufungen gegen Urteile des Amtsgerichts (Urteile des Strafrichters und des Schöffengerichts) zuständig. 

Im Zivilprozess ist es für Berufungen und Beschwerden gegen Entscheidungen der Amtsgerichte zuständig Zum Landgerichtsbezirk Cottbus, für den Ramona Pisal die Dienstaufsicht führt, gehören die Amtsgerichte in Lübben, Senftenberg, Bad Liebenwerda, Cottbus und Königs Wusterhausen.Grid sm-4